Im Vergleich mit anderen Ländern ist Deutschland – führende Industrienation und Exportweltmeister – ein digitales Entwicklungsland. Das gilt auch für den Ausbau des Glasfasernetzes und den Mobilfunk. Zeit für eine Bestandsaufnahme – und fünf Vorschläge für die digitale Zukunft.
In einem Interview mit dem "heute journal" des ZDF hat sich Dorothee Bär, die designierte Staatsministerin für Digitales, in ihr erstes Fettnäpfchen manövriert. Denn statt zu erklären, wie sie ihr neues Amt nutzen wolle, um den schleppend verlaufenden Breitbandausbau voranzutreiben, redete die CSU-Politikerin lieber von selbstfahrenden und fliegenden Autos.
Das war eindeutig nicht das, was Moderatorin Marietta Slomka hören wollte. Zuerst einmal müsse doch das leistungsfähige Internet für diese Technologien bereitgestellt werden, so ihr Einwand. Dem konnten wohl auch viele Zuschauer etwas abgewinnen. Der Interviewausschnitt machte in den sozialen Medien die Runde. Viel Spott erging daraufhin über die angehende Mitarbeiterin im Kanzleramt.
Statt ein eigenständiges Digitalministerium zu leiten, soll Bär die Vorhaben der verschiedenen Ministerien in Sachen Digitalisierung koordinieren. Federführend in Sachen Breitbandausbau wird auch weiterhin der Minister für Verkehr und digitale Infrastruktur sein. Hier folgt Andreas Scheuer auf den gemeinsamen CSU-Parteifreund Alexander Dobrindt. Für ihn gibt es viel zu tun – er muss etliche Versäumnisse seiner Vorgänger gutmachen.
Smartphone-Nutzerin: Schnelle Handys, lahme Verbindung. (Quelle: imago images)
Erstes Beispiel: Der Mobilfunk
Der schnelle Datenfunk (4G oder LTE) sollte längst Standard sein. Auf dem " Mobile World Congress " in Barcelona, dem großen Branchentreffen der Mobilfunkindustrie und Smartphone-Hersteller, wurde bereits die 5. Generation ( 5G ) vorgestellt, die ab 2019 starten soll. 5G bietet Höchstgeschwindigkeiten von bis zu zehn Gigabit pro Sekunde. Das ist hundertmal schneller als die heutigen LTE-Netze. Die Technik erlaubt auch ein viel höheres Datenvolumen pro Quadratkilometer je Mobilfunkstation, braucht aber auch viele neue Mobilfunkmasten.
In Deutschland ist man immer noch dabei, das 4G- oder auch LTE-Netz auszubauen. Der Standard wird für die Übertragung großer Datenmengen gebraucht, zum Beispiel für Videos. Die Mobilfunkbetreiber feilen immer weiter an dieser Übertragungstechnologie und holen hier und da sogar ein paar Megabit pro Sekunde mehr heraus. Je nach Kategorie sollen über LTE bis zu 500 Megabit pro Sekunde mobil verfügbar sein. Bis zur 5G-Qualität mit bis zu 10.000 Mbit/s wäre es aber noch einmal ein Riesensprung.
Hinzu kommt: Nur wenige Nutzer kommen in den Genuss der Höchstgeschwindigkeit. Laut Statista haben nicht einmal zwei Drittel der Nutzer (65,7 Prozent) Zugang zum schnellen Datenfunk LTE. Damit liegt Deutschland im europäischen Vergleich weit hinten. Länder wie die Niederlande und Norwegen schaffen im Schnitt fast die doppelte Geschwindigkeit. Auch Länder wie Ungarn, Serbien, Kroatien und Litauen hängen Deutschland in diesem Punkt locker ab.
"Weiße Flecken" sollten beseitigt werden
Bei der Versteigerung der Mobilfunkfrequenzen für LTE (4G) und UMTS (3G) gab es zwar Vorgaben, die "weißen Flecken" der unterversorgten Gebiete auf dem Land zu beseitigen. Die Provider verweisen darauf, dass mehr als 90 Prozent der Bevölkerung LTE nutzen können. Auf den Geräten durchgeführte Messungen wie zum Beispiel von OpenSignal zeigen jedoch, dass das bestenfalls theoretisch richtig ist. Beim Anwender kommt von dem schnellen Internet nur wenig an, vor allem außerhalb der Großstädte. Auf die Messungen von OpenSignal beruft sich auch die Statista-Infografik.
Platz 32 in Europa: Deutschland hinkt beim mobilen Surfen hinterher. (Quelle: Statista)
Wer heute ein Smartphone für über 800 Euro kauft, bekommt im schlimmsten Fall eine lahme Datenleitung, die die Möglichkeiten seines Gerätes nicht ausschöpft, sondern es ausbremst.
Mobile Flatrates sind im Vergleich überdies teurer und zu klein bemessen. Echte, unbegrenzte Flatrates gibt es kaum. Die Telekom bietet eine "Unlimited"-Flatrate für knapp 80 Euro im Monat an. Das sind fast 960 Euro pro Jahr, im EU-Vergleich viel zu teuer.
Zweites Beispiel: Das Glasfasernetz
In den vergangenen vier Jahren hat die Bundesregierung Mittel in Milliardenhöhe zur Verfügung gestellt, um den Breitbandausbau zu fördern. Doch diese Mittel wurden nur zum Teil investiert: 2017 wurden nur 15 von 690 Millionen Euro im Bund für den Breitbandausbau ausgegeben. 2016 waren es nur 5 von 400 Mio. Euro. Das ergab eine Anfrage des Grünen-Abgeordneten Sven Kindler. Woran es hier im Detail gehakt hat, ist unklar.
Deshalb ist eine digitale Infrastruktur in Deutschland, trotz großer Anstrengungen in den vergangenen Jahren, noch immer nicht flächendeckend vorhanden.
Erhebliches Stadt-Land-Gefälle
Nach wie vor gibt es ein großes Stadt-Land-Gefälle. In Großstädten schaffen die Leitungen laut der Bundesnetzagentur zu 90 Prozent Geschwindigkeiten von bis zu 50 Megabit pro Sekunde und mehr. In kleineren Städten sinkt dieser Anteil auf 68 Prozent, auf dem Land liegt er nur bei 36 Prozent.
Das Problem ist dabei weniger, dass schnelles Internet nicht nachgefragt wird. Vielmehr fehlt es in den meisten Regionen an Angeboten. Und dort wo 100 oder 200 Mbit/s-Anschlüsse verfügbar sind, lassen sich die deutschen Anbieter das ordentlich was kosten. Ein Gigabit-Anschluss der Deutschen Telekom kostet zum Beispiel 119,95 Euro pro Monat. In Schweden gibt es so etwas schon zum Preis eines deutschen 50 Mbit/s-Anschlusses.
Weil den hohen Ausbaukosten in weniger dicht besiedelten Regionen nur geringe Einnahmen gegenüberstehen, haben sich die großen Telekommunikationsfirmen um den Ausbau auf dem Land bislang nur wenig gekümmert. Diese Nachteile sollen eigentlich durch staatliche Förderprogramme ausgeglichen werden.
Der Ausbau des Glasfasernetzes
Bisher gibt es kaum Haushalte, Behörden oder Unternehmen, die direkt an das Glasfasernetz angeschlossen sind ("Fiber to the Home"). Zwar haben die Telekom und Vodafone 2017 Zehntausende Kilometer Glasfaser verlegt. Doch diese Leitungen enden oft in grauen Verteilerkästen auf dem Bürgersteig. Die letzten Meter laufen dann in der Regel über herkömmliche Kupferleitungen. Die Kosten für einen Glasfaseranschluss schwanken sehr stark. Je nach Anschlussart und Anbieter werden zwischen 100 und 1000 Euro dafür fällig.
Die Telekom setzt dabei auf die sogenannte "Vectoring"-Technik, mit der Datengeschwindigkeiten von 50 Megabit pro Sekunde zu erreichen sind, an vielen Standorten sind bis zu 100 Megabit pro Sekunde möglich. Demnächst sollen es mit dem sogenannten "Super-Vectoring" bis zu 250 Megabit pro Sekunde sein. Doch Gigabit-Geschwindigkeiten sind damit nicht zu erzielen.
Das können wir tun: fünf Vorschläge
1. Wir brauchen neben mehr Investitionen in mobile Netze und schnelle Kabel vor allem neue Ideen für die digitale Zukunft. Unter den Top-50 der Firmen weltweit, die Apps für Smartphones und Tablets entwickeln, befindet sich kein einziges deutsches Unternehmen. Ein globaler Milliardenmarkt wächst komplett ohne deutsche Beteiligung.
2. Wir brauchen Start-ups, die mit digitalen Ideen ins Risiko gehen und die Großunternehmen mitziehen. Diese Zusammenarbeit muss dringend ausgebaut werden. Erste, vielversprechende Ansätze sind vorhanden, auch auf europäischer Ebene. Es könnte wieder so etwas wie ein deutscher Gründergeist entstehen, der die Angst und Ablehnung von technischen Innovationen ablöst. Wir brauchen eine neue Gründerkultur, und keine deutsche Angst vor dem Scheitern und Rückschlägen. Von mir aus auch mit Flugtaxis.
Werbung für schnelle Internetanschlüsse: Wenige Glasfaserkabel reichen bis an die Haustür. (Quelle: imago images)
3. Wir klammern uns in Deutschland viel zu lang an altbewährte Techniken, siehe Dieselmotor. Wir entwickeln sie weiter und weiter, statt früher auf Innovationen zu setzen. Wäre eine Firma wie Tesla in Deutschland denkbar? Oder Google und Facebook? Die ehrliche Antwort lautet: Nein. Alle großen Digitalkonzerne (Amazon, Apple, Microsoft) sitzen heute in den USA. Kein Zufall.
4. Wir brauchen viel mehr Frauen in technischen Berufen und Start-ups. Ihre Kreativität und Ideen fehlen uns. Nur einer von zehn Gründern in Deutschland ist heute weiblich. Frauen sind ebenso wenig in MIN T-Fächern vertreten, wie in technischen Studiengängen. Das sollte sich durch gezielte Förderung und Angebote ändern. Nicht von heute auf morgen, aber auf mittlere Sicht.
5. Wir brauchen Laptops und Tablets in den Schulen. Und Medienkunde als Schulfach. Warum sind Schulen und Lehrer technisch schlechter ausgestattet, als ihre Schüler? Nicht, um zu konsumieren, sondern um Neues zu schaffen. Um Fragen zu stellen, im Dialog mit anderen. Dann ist "Schüleraustausch" nicht nur einmal im Jahr, sondern jeden Tag, über Länder- und Sprachgrenzen hinweg.